Gekommen und geblieben

Tausende „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ reisen in den Nachkriegsjahren nach Deutschland

Sie arbeiten in den Werften, bei den Stahlwerken oder in der Autoindustrie – tausende „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ reisen in den Nachkriegsjahren nach Deutschland, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln. Die meisten sind geblieben und heimisch geworden. Ein Rückblick.

Text: Suse Lübker
Foto: Steuermann Ayhan Zeytin bei der Längsteilanlage im Warmwalzwerk bei den Bremer Stahlwerken, 1994 (ArcelorMittal Bremen)


Die Wirtschaft boomt im Deutschland der Nachkriegszeit. Überall im Land fehlen Arbeitskräfte, vor allem günstige. Im Laufe der Fünfziger- und Sechzigerjahre wirbt die Regierung zehntausende Menschen aus Südeuropa an – als sogenannte Gastarbeiter verlassen sie ihre Heimat und versuchen, sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. 1955 vereinbart die Bundesregierung das erste Anwerbeabkommen mit Italien, Verträge mit Spanien und Griechenland folgen. Im Oktober 1961 tritt das Abkommen mit der Türkei in Kraft.

Auch das Land Bremen profitiert von den Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Die meisten kommen Ende der 1960er-Jahre, viele von ihnen aus der Türkei. Es sind vorwiegend junge Menschen, ungelernte Arbeitskräfte mit wenig Erfahrung, und die wenigsten wissen, was sie in ihrer neuen Heimat erwartet. Sie arbeiten für den Bremer Vulkan und die AG Weser, für die Stahlwerke und die Bremer Wollkämmerei, am Hochofen oder am Fließband. Nicht nur Männer finden Arbeit: Viele Betriebe in Bremen stellen Frauen ein, darunter auch die SchokoladenFabrik Hachez.

25,2 % aller Beschäftigten in Bremen hatten im Jahr 2019 einen Migrationshintergrund.*

Das „Rotationsprinzip“ sieht vor, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter nach zwei, drei Jahren in ihre Heimat zurückkehren. Der Plan geht nicht auf, für die Betriebe ist es rentabler, wenn diejenigen bleiben, die eingearbeitet sind. Als sich Anfang der 1970er-Jahre die Wirtschaftslage verschlechtert, verhängt die Regierung einen Anwerbestopp für „Gastarbeiter“. Statt aber in die Heimat zurückzukehren, holen viele türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger ihre Familien nach Bremen.

Mit der Werftenkrise Anfang der 1980erJahre ändert sich auch die Situation für die Arbeitsmigrantinnen und -migranten. 1983 schließt die AG Weser die Tore für immer. Mit Rückkehrprämien versucht die Regierung diejenigen, die arbeitslos oder in Kurzarbeit sind, in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Ein Teil geht zurück, aber viele der ehemaligen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter bleiben und leben inzwischen in der dritten Generation in Bremen.

*Das zeigt die Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer. Damit sind alle Personen gemeint, die nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden beziehungsweise die mindestens einen Elternteil haben, der nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

"Es wurde sich wenig darum gekümmert, wie man die Menschen in die Gesellschaft integrieren kann"

Das Thema Arbeitsmigration wird zukünftig im Focke-Museum einen festen Platz finden, dafür sorgt der wissenschaftliche Referent Dr. Bora Aksen. Im Interview berichtet der Migrationsexperte wie es den so genannten Gastarbeitern in der Nachkriegszeit in Bremen ergangen ist.

Fragen: Suse Lübker

Herr Aksen, in den 1950er und 1960er Jahren wurden viele Arbeitsmigrant:innen angeworben, viele kamen aus der Türkei. Wer durfte ausreisen?

Nur diejenigen, die körperlich fit waren, dafür gab es Eignungs- und Gesundheitsuntersuchungen. Dazu gehörten zum Beispiel Blutdruckmessungen, Blut- und Urinuntersuchungen, außerdem wurden Augen, Ohren und Zähne geprüft. Auch die Geschlechtsorgane wurden untersucht, das empfanden viele als entwürdigend. Manche fühlten sich sehr an eine Musterung wie beim Militär erinnert. Die Menschen brauchten dieses Gesundheitszertifikat und natürlich einen Arbeitsvertrag.

Wie sahen die Arbeitsverträge aus, waren die befristet?

Ja, in der Regel bekamen sie befristete Verträge, die dann immer wieder verlängert wurden. Mit dem Gedanken, wenn die Auftragslage zurückgeht, kann man sie halt wieder zurückschicken. Dann hat die Wirtschaft gemerkt, dass es viel teurer ist, wenn man die Leute immer wieder neu anlernen muss. Die haben sich hier ja Know-How aufgebaut. So sind viele geblieben. Zu Beginn sind alle davon ausgegangen, dass die Arbeitsmigrant:innen nach ein paar Jahren wieder zurückgehen, entsprechend wurden sie auch behandelt. So war das Konzept.

Das zeigte sich auch an der Unterbringung…

Ja, genau. An den Wohnverhältnissen sieht man, wie unterprivilegiert die Menschen waren. An dieser Stelle konnten die Firmen Geld sparen. Es war ja vertraglich geregelt, dass die Arbeitskräfte die gleichen Löhne und Sozialleistungen bekommen. An den Unterkünften konnte gespart werden. 1962 wohnten etwa zwei Drittel in Gemeinschaftsunterkünften, Wohnbaracken, die von den Betrieben auf den Firmengeländen bereitgestellt wurden.

Inwiefern änderte sich das nach dem Anwerbestopp Anfang der 1970er Jahre?

Die türkischen Arbeitsmigrant:innen mussten sich entscheiden, ob sie in Deutschland bleiben oder nicht und ob sie ihre Familie nachholen wollen. Hätten sie Deutschland verlassen, wären sie nicht ohne weiteres wieder reingekommen. Viele hatten Sorge, dass sie in der Türkei keine gleich bezahlte Arbeit finden würden. So entschieden viele, die Familie nachzuholen und Wohnungen in der Stadt zu suchen. Zwischen 1973 und 1979 stieg die Zahl der Arbeitsmigrant:innen mit Angehörigen bundesweit von 900.000 auf 1,5 Millionen.

Wie hat sich das auf das Leben in der Stadt ausgewirkt?

Das hat auch zu einer gewissen Sichtbarkeit in der Stadt geführt. Vorher waren die Menschen sehr abgeschirmt in den Unterkünften. Plötzlich gingen die Kinder zur Schule. Das Geld, das die Arbeitsmigrant:innen hier verdient hatten, wurde in Deutschland ausgegeben. Das war anders, vorher wurde es gespart und in die Heimat geschickt. Das hatte schon einen großen Effekt. Das Gastarbeiterkonzept war dann vorbei.

Die ehemaligen Gastarbeiter:innen gehörten jetzt also dazu, wie gingen die Menschen mit dieser Tatsache um, wie war die Stimmung?

Gerade Anfang der 1970er Jahre ist die Stimmung gekippt. Der SPIEGEL veröffentlichte damals einen Artikel mit dem Titel „Die Türken kommen, rette sich wer kann!“ Der Artikel zeigt gut, wie damals die Stimmung war. Deutschland hat sich einfach lange dagegen gewehrt, sich als Einwanderungsland zu sehen, obwohl es spätestens nach dem Anwerbestopp eines wurde. Man hat sich einfach immer mehr Gedanken darüber gemacht, wie man die Menschen dazu bewegen kann, in ihr Heimatland zurückzukehren. Es wurde sich wenig darum gekümmert, wie man die Menschen in die Gesellschaft integrieren kann. Die Menschen sahen aber gar keinen Anlass zurückzukehren, sie hatten Kinder, die hier zur Schule gingen. Sie sind ja Bremer:innen, warum sollten sie das Land verlassen. Es hat sehr lange gedauert, bis das akzeptiert wurde.
Ferda Ataman hat ein empfehlenswertes Buch geschrieben mit dem Titel: "Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!"  – das zeigt gut, wie wir heutzutage immer noch über Migration reden. Über Menschen, die inzwischen in der zweiten und dritten oder sogar in der vierten Generation hier leben.